Auf Güte anderer angewiesen
Düstere Aussichten
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„Wie uns bei all dem Bevorstehenden zumute ist, brauche ich Euch nicht zu schildern. Auflösung alles Bestehenden-der Familie, der Wohnung-das Verpflanzen in fremde, unbekannte Verhältnisse-überall auf Güte anderer angewiesen-Eltern und Kinder auseinandergerissen, ohne zu wissen, ob es ein Wiedersehen giebt [sic]-man hat kaum die Kraft, es im voraus auszudenken.“
Berlin/Buenos Aires
Als Ehefrau eines erfolgreichen Architekten hatte Anna Nachtlicht gesellschaftliches Prestige und Jahre des materiellen Wohlstands erlebt. 1932 jedoch zwang die Weltwirtschaftskrise das Ehepaar, seine Kunstsammlung zu versteigern, und 1933 verlor Leo seine Anstellung. Schließlich blieb dem Ehepaar keine andere Wahl als Zimmer zu vermieten. Die erwachsenen Töchter der Nachtlichts, Ursula (geb. 1909) and Ilse (geb. 1912), trugen zum Haushalt bei. Doch die Situation wurde unhaltbar. Wie Anna Nachtlicht am 17. Dezember an ihren Bruder Max in Argentinien schreibt, hatte die Familie „alle Ursache,“ nun auch noch mit dem Verlust der Wohnung in Berlin-Wilmersdorf zu rechnen. Während realistische Hoffnung darauf bestand, dass die Töchter in England Stellen bekommen würden, waren Anna und Leos Bemühungen, im Ausland Zuflucht zu finden, fast vollkommen erfolglos geblieben. Verwandte Leos in Frankreich hatten immerhin zugesagt, das Ehepaar vorübergehend unterzubringen, bis ein drittes Land ihnen ein dauerhaftes Zuhause anböte. Anna Nachtlicht bat offensichtlich nicht gern um Hilfe und beklagte die Abhängigkeit von anderen, doch die ständige Verschlechterung der Lage und dunkle Vorahnungen ließen ihr keine Wahl. Sie hatte gehört, Argentinien sei im Begriff, seine Einwanderungspolitik zu ändern und es möglich zu machen, Geschwister anzufordern. Mit unverhohlener Verzweiflung bittet sie ihren Bruder in Buenos Aires, sofort die Zusammenführung mit ihr zu beantragen und damit ihre Emigration zu ermöglichen.
TAGS: 17. DEZEMBER, ANTISEMITISMUS, AUSWANDERUNG, BEKANNTE PERSöNLICHKEITEN, BERLIN, BRIEF, BUENOS AIRES, EINWANDERUNGSFORMALITäTEN, FAMILIE, FAMILIENTRENNUNG, FLüCHTLINGE, JüDISCHES EIGENTUM, SüDAMERIKA, VERARMUNG, VERFOLGUNG JüDISCHER BERUFSTäTIGER, VERTREIBUNG, WELTWIRTSCHAFTSKRISE, WIRTSCHAFTLICHE VERFOLGUNGQUELLE
Institution:
Leo Baeck Institute – New York | Berlin
Sammlung:
Sammlung Familie Nachtlicht, AR 25031
Original:
Archivbox 1, Ordner 7