Post aus Shanghai
Ein deutsch-jüdischer Auswanderer berichtet
-
„Es gibt nicht einen einzigen Juden hier, der sich nicht ernähren kann.“
Schanghai/Berlin
Zu einer Zeit, als mehr und mehr Juden den dringenden Wunsch verspürten, das Land zu verlassen, muss dieser Brief eines deutsch-jüdischen Auswanderers in Shanghai, gerichtet an die „Herren vom Hilfsverein“, zukünftige Auswanderer mit neuer Hoffnung erfüllt haben: Der Schreiber dankt dem Hilfsverein überschwänglich für die Beratung und berichtet begeistert von der Vielzahl beruflicher Optionen, die Einwanderern an seinem neuen Standort zur Verfügung stehen: „Voraussetzung ist natürlich, dass man irgend etwas können muss und intensiv arbeiten kann.“ Seiner Einschätzung nach waren Musiker, Ärzte und Kaufleute stark gefragt und die Situation für Sekretärinnen und Stenotypistinnen besonders vielversprechend – unter der Bedingung, dass sie über perfekte Englischkenntnisse verfügten, was unter deutschen Juden in keiner Weise selbstverständlich war. Die Neuankömmlinge waren nicht die einzigen Juden im Land: Etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es eine sephardische Gemeinde, und seit Anfang des 20. Jahrhunderts, dann verstärkt durch den Zusammenbruch des Zarenreichs, hatten sich aschkenasische Juden in der Stadt angesiedelt.
QUELLE
Institution:
Leo Baeck Institute – New York | Berlin
Sammlung:
Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde zu Berlin
Original:
Vol 28, Nr. 25, S. 5.