Wenn das Private politisch wird
Ein jüdischer Arzt soll seine Schweigepflicht brechen
-
„... mir möglichst umgehend eine Mitteilung darüber zukommen zu lassen, ob Sie während der Italienerbesuche in Stuttgart deutsche Mädchen oder Frauen an Geschlechtskrankheiten behandelt haben, die angaben, von Italienern angesteckt worden zu sein.“
Stuttgart
Dr. Ernst Schaumberger war Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, ein eigentlich unpolitischer Beruf. Die nationalsozialistische Rassen- und Sittenideologie allerdings hatte den Geschlechtsverkehr zum Objekt politischen Interesses erklärt, und damit wurde auch Dr. Schaumbergers Arbeitsfeld politisch. Das vertrauliche Gesuch, das er am 20. September 1938 vom NS-Amt für Volksgesundheit in Stuttgart erhielt, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Er sollte mitteilen, ob er Mädchen und Frauen wegen Geschlechtskrankheiten behandelt habe, die sie sich beim Verkehr mit Italienern angesteckt hatten. Die sogenannte „Rassenhygiene“ im Nationalsozialismus schreckte also nicht davor zurück, ärztliche Schweigepflichten zu hintergehen. Als Dr. Schaumberger dieses Schreiben erhielt, waren seine Tage als praktizierender Arzt bereits gezählt. Schon im Juli hatte man ihn öffentlich als „jüdischen Arzt“ gekennzeichnet und eine Novelle des NS-Reichsbürgergesetzes erlassen, dass mit dem 30. September 1938 die Zulassungen jüdischer Ärzte erlöschen sollten. Trotzdem wurde von ihm erwartet, mit den Nazis zu kooperieren.
QUELLE
Institution:
Leo Baeck Institute – New York | Berlin
Sammlung:
Sammlung Irene Shomberg, AR 6256
Original:
Archivbox 1, Ordner 1