Das Leo Baeck Institut hält die Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums lebendig.
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Laudatio: Ronald S. Lauder
Frank-Walter Steinmeier wird am 5. Januar 1956 in Detmold/Kreis Lippe geboren. Er ist seit 1995 mit Elke Büdenbender verheiratet. Gemeinsam haben sie eine Tochter.
Nach dem Besuch des Neusprachlichen Gymnasiums in Blomberg und einer zweijährigen Bundeswehrzeit studiert Frank-Walter Steinmeier ab 1976 Rechtswissenschaften, seit 1980 zusätzlich auch Politikwissenschaften, an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. 1982 legt er seine Erste Juristische Staatsprüfung ab. Anschließend leistet er seinen Juristischen Vorbereitungsdienst in Frankfurt am Main und Gießen, den er 1986 mit der Zweiten Juristischen Staatsprüfung beendet. Danach arbeitet er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für öffentliches Recht und Wissenschaft von der Politik an der Universität Gießen. 1991 schließt er seine Promotion zum Dr. jur. mit der Arbeit "Bürger ohne Obdach: zwischen Pflicht zur Unterkunft und Recht auf Wohnraum. Tradition und Perspektiven staatlicher Intervention zur Verhinderung und Beseitigung von Obdachlosigkeit" ab.
Im selben Jahr wechselt Frank-Walter Steinmeier als Referent für Medienrecht und Medienpolitik in die Niedersächsische Staatskanzlei in Hannover. 1993 wird er Leiter des Persönlichen Büros des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder und 1994 Leiter der Abteilung für Richtlinien der Politik, Ressortkoordinierung und -planung. Zwei Jahre später wird er Chef der Niedersächsischen Staatskanzlei, ab Januar 1997 im Rang eines Staatssekretärs.
1998 wird er Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Beauftragter für die Nachrichtendienste, ab 1999 zugleich auch Chef des Bundeskanzleramtes. Das Amt des Bundesministers des Auswärtigen tritt er 2005 an; ab 2007 ist er auch Vizekanzler. 2009 gewinnt er das Direktmandat in einem Brandenburger Wahlkreis und zieht in den Bundestag ein. Die SPD-Bundestagsfraktion wählt ihn zum Vorsitzenden. Vier Jahre später übernimmt er erneut das Außenamt und leitet es bis Januar 2017.
Für sein bisheriges Wirken wurde Frank-Walter Steinmeier mit zahlreichen Ehrungen und Preisen ausgezeichnet, darunter der Ignatz-Bubis-Preis für Verständigung, der Europapreis für politische Kultur, der Preis für Europäische Verständigung, Willy-Brandt-Preis, der Toleranzpreis der Evangelischen Akademie Tutzing und der Ökumenische Preis der Katholischen Akademie Bayern. Er ist Ehrendoktor der National and Kapodistrian University of Athens, der Lebanse University Beirut, der Boris-Jelzin-Universität Jekatarinburg, der Hebrew University of Jerusalem, der Universität Paderborn und der Universität Piräus. Zugleich ist er Ehrenbürger der Städte Helsinki, Hermannstadt, Kalamata, Oulu und Reims.
Am 12. Februar 2017 wird Frank-Walter Steinmeier zum 12. Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland.
Es gilt das gesprochene Wort.
Lieber, verehrter Ronald Lauder, ich danke Ihnen für Ihre wunderbare Laudatio. Ihre Worte bewegen und berühren mich.
Sehr geehrte Damen und Herren, Ich danke Ihnen, die Sie das Erbe eines der bedeutendsten jüdisch-deutschen Gelehrten bewahren und weitertragen, von ganzem Herzen für die Einladung nach New York. Ich empfinde diese Auszeichnung als große Ehre. Sie erfüllt mich mit tiefer Demut.
I.
Ich selbst gehöre zu einer Generation, die den großen Leo Baeck nicht mehr persönlich erlebt hat. Aber meine Generation konnte von ihm unendlich viel lernen: wie viel Hoffnung, Glaube und Optimismus deutsche Jüdinnen und Juden hatten, ehe die Barbarei des Nationalsozialismus jüdisches Leben in Deutschland und in vielen Teilen Europas fast völlig auslöschte. Leo Baeck, und das ist sein Vermächtnis, dieser Leo Baeck war ein Versöhner: zwischen den Religionen und Kulturen, zwischen Christen und Juden in Deutschland. Wie sehr musste es ihn schmerzen, mitzuerleben, wie sein Deutschland in dunkelste Nacht stürzte. Und was musste er selbst durchleiden! Auch ihn, der sein Leben dem Dialog gewidmet hatte, auch ihn wollten die Nationalsozialisten ermorden, weil er Jude war.
Niemand kann es überraschen, dass dieser große Versöhner nach dem Zivilisationsbruch der Shoah alle Hoffnung verloren hatte. Sie kennen sein zutiefst resigniertes Fazit, dass die Epoche der Juden in Deutschland ein für allemal beendet sei. „Soviel Mord, Raub und Plünderung, soviel Blut und Tränen und Gräber können nicht mehr ausgelöscht werden.“ Ich selbst habe diese verzweifelte, bittere Analyse immer als Verpflichtung verstanden: als Verpflichtung, dazu beizutragen, dass es über alle Abgründe hinweg einen neuen Anfang geben kann, ein neues jüdisches Leben in Deutschland.
Ich möchte mich heute verneigen vor Leo Baeck, vor dem Mann, der, auch wenn das kaum möglich schien, in seinen letzten Lebensjahren neue Hoffnung fasste, wie Sie, lieber Michael Meyer, in Ihrer wunderbaren Biografie dargelegt haben. Diese Hoffnung gab ihm vor allem Theodor Heuss, der erste Bundespräsident: Hoffnung auf ein neues, ein demokratisches Deutschland, in dem sogar wieder vereinzelte jüdische Gemeinden entstanden.
II.
Wenn ich heute, siebzig Jahre später, als zwölfter Bundespräsident hier vor Ihnen stehe, empfinde ich Dankbarkeit und Demut für das Wunder der Versöhnung, das mir und meinem Land zuteil geworden ist. Dieses Wunder war kein Geschenk des Himmels – es war das Geschenk von Menschen! Jüdinnen und Juden, Überlebende der Shoah und ihre Nachfahren, aus Europa, aus Israel, aus den USA – so viele haben den Deutschen der Nachkriegsgeneration die Augen geöffnet. Und so viele haben uns Deutschen die Hand gereicht, und wir haben sie dankbar ergriffen. Nur dank ihnen und mit ihnen konnten wir den weiten Weg der Versöhnung gehen, den Leo Baeck begonnen hatte.
Es sind diese Menschen, an die ich heute Abend denke: Menschen, die offene Worte gesprochen und die mir die Hand gereicht, die mir ihre Freundschaft geschenkt haben. Ihnen allen möchte ich aus tiefstem Herzen danken – auch wenn ich nur einige wenige Namen nennen und besonders herausheben kann. Ich weiß: Ohne diese Menschen, ihre Freundschaft, ihr Geschenk der Versöhnung wäre ich heute ein anderer. Ihnen allen möchte ich die heutige Auszeichnung widmen.
Das Wunder der Versöhnung – Margot Friedländer hat es uns geschenkt. Sie, die vor wenigen Tagen 100 Jahre alt geworden ist, ist in Berlin aufgewachsen und hat als einzige ihrer Familie die Shoah überlebt. Erst in hohem Alter zog sie von New York zurück nach Berlin, in ihre geliebte Heimatstadt. Unermüdlich fährt sie nun durch dieselben Straßen, in denen sie als junges Mädchen verhöhnt und beleidigt wurde, um zu erzählen, was sie erlebt hat, und jungen Menschen heute zu zeigen, welch kostbare Güter Freiheit und Demokratie sind. „Ich glaube an das Gute im Menschen“, hat Margot Friedländer einmal gesagt. Was für ein Satz!
Das Wunder der Versöhnung – das haben uns auch Regina und Zwi Steinitz geschenkt, zwei ganz besondere Menschen. Wenn ich an Zwi denke, dann denke ich an sein Lächeln – es begleitet mich bis heute. Beide, Regina und Zwi, haben als Kinder Grauenvolles durchgemacht. Gemeinsam fingen sie in Israel ein neues Leben an. Und auch sie entschieden, ihr Leben zu erzählen. Regina tut es noch heute und reist in hohem Alter von Israel nach Deutschland. Ich habe oft erlebt, wie junge Menschen an ihren Lippen hängen, wenn sie erzählt und diese jungen Deutschen tief im Herzen berührt. Meine eigene Tochter war von Reginas und Zwis Lebensgeschichte so bewegt, dass sie die beiden zu Hause in Israel besucht hat. Wie dankbar bin ich für ihre Freundschaft!
Das Wunder der Versöhnung: Dafür danke ich auch Kurt Marx. Ihn habe ich in Malyj Trostenez kennenlernen dürfen, an diesem Ort des Schreckens im heutigen Belarus, wo die Nationalsozialisten Zehntausende jüdische Familien brutal ermordeten – darunter auch Kurt Marx’ Eltern, die er als Kind vor seiner Flucht aus Köln nach England zum letzten Mal gesehen hatte. Malyj Trostenez, das ist nur einer der vielen Orte deutscher Verbrechen, die im heutigen Deutschland viel zu wenig bekannt sind: Orte wie Paneriai in Litauen oder Babyn Jar und Odessa in der Ukraine. Mir ist wichtig, dass wir Deutsche um diese Orte wissen, dass sie einen Namen bekommen, einen Raum in unserer Erinnerung.
Ich denke heute Abend an die Menschen, die uns diese Räume öffnen, an Anita Lasker-Wallfisch, Leon Schwarzbaum, Pavel Taussig oder Peter Gardosch, an Walter Jacob oder Giselle Cycowicz. Ich denke an all die Überlebenden des Holocaust, die letzten Zeitzeugen, die noch davon erzählen. Sie erzählen, was geschehen ist, damit es nicht wieder geschieht! Sie haben ihr Leben dem Kampf gegen das Vergessen gewidmet, und das über die Grenzen und Kontinente hinweg: Menschen wie Roman Kent, von dem wir uns kürzlich verabschieden mussten, Menschen wie Marian Turski, der mich durch das eindrucksvolle Museum für die Geschichte der polnischen Juden in Warschau geführt hat, dessen Mitbegründer er ist. In den vergangenen Jahren sind wir uns oft begegnet – zuletzt bei der Trauerfeier für Roman Kent im August. Ich bin zutiefst dankbar für seine Freundschaft, eine Freundschaft, die ich auch erleben durfte, als ich am 1. September 2019 in Wieluń und Warschau war. Jenem Tag, an dem achtzig Jahre zuvor mein Land sein Land überfallen und unsagbares Leid über ihn, seine Familie, seine Landsleute gebracht hatte.
Das Wunder der Versöhnung: Dafür danke ich auch meinem Freund Reuven Rivlin. Unsere erste Begegnung fand bei einem Glas Bier in den Bars von Mahane Yehuda in Jerusalem statt, unsere zweite bei einem Besuch des Konzentrationslagers Dachau. Daraus wurde eine Freundschaft, wie sie in der Politik selten ist. Im Sommer habe ich ihn zum letzten Mal in seinem Amt als Staatspräsident besucht, und wie sehr hat es mich bewegt, ihm das Studienzeugnis seines Vaters mitzubringen, ausgestellt im Jahr 1926 an der Universität Frankfurt. Und nie werde ich vergessen, wie er, Ruvi, mich bei diesem Besuch in die Wüste Negev an das Grab des Staatsgründers, das Grab von Ben Gurion führte.
Zu den bewegendsten Momenten meiner Amtszeit gehört, dass er mich einlud, in Yad Vashem zu sprechen – und dass wir anschließend zusammen Auschwitz besucht haben. Wer hätte sich noch vor wenigen Jahren vorstellen können, dass ein deutscher und ein israelischer Präsident, der einst gegen diplomatische Beziehungen zu Deutschland wütend protestiert hatte, dass diese beiden Männer nach dem Besuch des früheren Todeslagers in einem deutschen Flugzeug nach Berlin fliegen würden? Dort hielt der israelische Staatspräsident eine bewegende Rede im Deutschen Bundestag. Auch das: nicht weniger als ein Wunder! Die Hand, die Reuven Rivlin uns, den Deutschen, die er mir persönlich zur Versöhnung gereicht hat, sie erfüllt mich mit einer Dankbarkeit, die ich nur schwer in Worte fassen kann.
Und mein Dank gilt so vielen anderen Israelis, die ich heute Freunde nennen darf. Ich denke an Ruvis Nachfolger, Isaac Herzog, den ich schon viele, viele Jahre kenne. Wir haben einander durch politische Höhen und Tiefen begleitet – ja, von beidem hatten wir unseren „Fair Share“. Gerade haben wir beide in Babyn Jar an der Gedenkfeier für die vor achtzig Jahren so grausam ermordeten Kiewer Juden teilgenommen.
Ich denke an den großen Shimon Peres, dem ich immer wieder begegnet bin und mit dem ich 2015 einen unvergesslichen Tag auf dem Skopusberg, an der Hebräischen Universität verbringen durfte, an Avi Primor, Avner Shalev und so viele andere. An Shimon Stein, der heute gerne mit uns nach New York gekommen wäre. Manchmal kommt es uns Deutschen ganz normal vor, wie eng und alltäglich wir mit unseren israelischen Freunden verbunden sind. Aber vergessen wir nie: Es ist ein Wunder!
Das Wunder der Versöhnung: Auch David Grossman ist für mich ein Teil davon. Die Besuche bei ihm, die Gespräche mit ihm gehören zu meinen kostbarsten Momenten. Und zu den bittersten gehört ein Satz, den David im Jahr 2006 zu mir gesagt hat – ich war damals als Außenminister in Israel, die Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Libanonkrieg standen kurz vor dem Abschluss. Beim Abschied im King David Hotel sagte David, dass er zum ersten Mal Angst habe. Es war, als habe er eine Vorahnung gehabt. Sein Sohn Uri, 21 Jahre jung, fiel in den letzten Stunden dieses Krieges. Er starb bei dem Versuch, seine Kameraden aus ihrem getroffenen Panzer zu retten. Welcher Schmerz das für David war, wer könnte das ermessen. Ich verdanke David Grossman unendlich viel. Er hat unzähligen Deutschen wie mir mit seinen Büchern einen Blick in das faszinierende Universum Israel geöffnet.
Den Blick geöffnet, das haben mir auch so viele andere Künstlerinnen, Autoren, Musikerinnen, Schauspieler, Intellektuelle aus Israel, die mich inspiriert haben – Amos Oz, Aliza Olmert, Amnon Weinstein, Assaf Gavron und viele, viele mehr.
Das Wunder der Versöhnung, das habe ich auch in Deutschland erfahren: von einer großartigen Frau, die den Nationalsozialismus in Verstecken überlebte und sich entschied zu bleiben. Charlotte Knobloch ist aus dem jüdischen Leben ihrer Heimatstadt München gar nicht wegzudenken. Und sie ist seit Jahrzehnten eine unüberhörbare Stimme im Kampf gegen Antisemitismus in Deutschland. Wie vielen Menschen, gerade jungen Menschen, hat sie Orientierung gegeben! Ich danke dieser einzigartigen Freundin für vieles: ihre Gabe zuzuhören, ihre klugen Analysen und so manchen Rat. Besonders beeindruckt hat mich – und viele Deutsche – ihre Rede im Deutschen Bundestag am diesjährigen Holocaust-Gedenktag. „Ich stehe vor Ihnen als stolze Deutsche“, dieser Satz dieser stolzen, streitbaren jüdischen Deutschen wird noch lange nachhallen.
Das Wunder der Versöhnung – auch die Worte der zweiten Rednerin in dieser Feierstunde im Bundestag hallen nach. Marina Weisband, die in der Ukraine geboren wurde und als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland kam, gehört zu jener jungen Generation von Jüdinnen und Juden, die heute in Deutschland leben und es prägen. Jüdisches Leben in Deutschland – das verdanken wir Menschen wie ihr – ist heute wieder lebendig, vielfältig und in die Zukunft gewandt. Welch unermessliches Glück für unser Land!
Ich wünschte, Leo Baeck könnte sie alle sehen und erleben, die heute das jüdische Leben in Deutschland gestalten: so unterschiedliche Menschen wie Josef Schuster, Rabbiner Walter Homolka und Rabbiner Yehuda Teichtal, wie Daniel Donskoy und Susan Neiman, wie Abraham Lehrer oder Shelly Kupferberg – welche Freude war es, mit diesen beiden 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland in der Kölner Synagoge zu feiern! Das Jubiläums–Festjahr neigt sich nun seinem Ende zu, und ich kann nur hoffen, dass es vielen Deutschen gezeigt hat: Jüdisches Leben gehört seit Jahrhunderten zu uns. Wie viel ärmer wäre unser Land ohne jüdisches Leben – ich möchte es mir ohne dieses Leben nie wieder vorstellen!
Das Wunder der Versöhnung: Auch hier in New York, hier in Amerika habe ich es erfahren. Lassen Sie mich einen herausgreifen, den ich erst heute Morgen, nur ein paar Blocks von hier, besucht habe. Ein Junge aus gutbürgerlichem Hause in Fürth, der mit seinen Eltern vor den Nationalsozialisten floh – und der hier, in seiner neuen Heimat, den Vereinigten Staaten, einer der großen Denker und ein Gestalter von Weltpolitik wurde. Ich erinnere mich gut, wie sehr es uns alle berührt hat, als Henry Kissinger bei einem Abendessen im Schloss Bellevue anlässlich seines 95. Geburtstages diesen erzwungenen Abschied aus Deutschland schilderte. Und doch wurde er später einer unserer größten Freunde. Wir Deutsche sind ihm nah – nicht nur wegen des herzerwärmenden fränkischen Einschlags, der bis heute kaum zu überhören ist, wenn er die Sprache seiner Kindheit spricht. Auch seiner Heimatstadt Fürth blieb er verbunden, ganz zu schweigen von ihrem Fußballclub. Wie viel habe ich gelernt von ihm, wie dankbar bin ich für die Ratschläge, die er mir gegeben hat!
Danken möchte ich auch Ihnen, lieber Ronald Lauder, für Ihr Engagement für Versöhnung und im Kampf gegen Antisemitismus. Besonders am Herzen liegt Ihnen, dass in osteuropäischen Ländern wieder neues jüdisches Leben ersteht. Das beeindruckt mich. Und auch Ihre Begeisterung für Kunst und Ihre Sammelleidenschaft beeindrucken mich! Und Sie haben noch eine große Leidenschaft, das habe ich in unseren Begegnungen immer wieder erlebt, und das ist das transatlantische Verhältnis. Ich weiß, welchen Freund Deutschland in Ihnen hat. Dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen!
III.
An alle diese Menschen denke ich heute Abend. Sie haben mir ihre Hand gereicht, ihre Freundschaft geschenkt. Dafür danke ich auch Ihnen, den Gästen des heutigen Abends, dafür danke ich Ihnen, lieber verehrter William Weitzer, lieber verehrter David Marwell, und dem gesamten Leo-Baeck-Institut, das so unschätzbar wertvolle Arbeit leistet. Sie sind das Wunder, das wir heute feiern.
Für mich, für uns Deutsche ist die Versöhnung ein unendlich kostbares Geschenk. Aber es bleibt zerbrechlich, es bleibt antastbar, und es wird angetastet, Tag für Tag. Ausgerechnet in Deutschland zeigt sich das Böse des Antisemitismus in den letzten Jahren wieder viel offener, viel unverhohlener. Das schmerzt mich nicht nur. Es beschämt mich, und es macht mich zornig.
Wie sehr wünschte ich mir, sagen zu können, dass jüdisches Leben in Deutschland heute selbstverständlich ist, dass jüdische Einrichtungen nicht mehr geschützt werden müssten. Stattdessen haben wir am 9. Oktober vor zwei Jahren erleben müssen, dass ein Alptraum Realität wurde: Ein Rechtsextremer griff am höchsten jüdischen Feiertag in Halle eine vollbesetzte Synagoge an, und nur eine schwere Holztür verhinderte, dass er ein Blutbad anrichten konnte. Seither fragen sich Jüdinnen und Juden wieder, ob sie im Land der Täter von einst eigentlich sicher sind. Auch das beschämt mich und macht mich zornig!
Ich möchte Ihnen heute versichern: Für uns Deutsche kann es darauf nur eine Antwort geben.
Das ist es, was ich meine, wenn ich über Leo Baeck spreche und über die Verpflichtung, die sein Vermächtnis mir bedeutet. Unsere Verantwortung vor der Geschichte ist Teil unserer Identität. Sie kennt keinen Schlussstrich und keine Relativierung. Wir dürfen in Deutschland keinen Antisemitismus dulden! Dafür werde ich weiter kämpfen, als Staatsoberhaupt dieses Landes und als Mensch. Es ist meine tiefe Überzeugung: Nur wenn Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder vollkommen zu Hause sind, sich vollkommen sicher fühlen, nur dann ist Deutschland ganz bei sich.
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