Das Leo Baeck Institut hält die Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums lebendig.
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Seit Jahrzehnten versteht sich das Leo Baeck Institut (LBI) als Mittler zwischen deutsch-jüdischer Geschichte, deutsch-jüdischer Diaspora und der deutschen Gesellschaft. In diese Entwicklung reiht sich die Ausstellung „Deutsch und Jüdisch“ ein, die als Wanderausstellung eine weitere transatlantische Brücke schlägt. Erstmals kehren die gezeigten Exponate zurück in das Land, das ihre Besitzer und Bewahrer vor vielen Jahrzehnten verließen.
Jedes der präsentierten Objekte vereint verschiedensten Geschichten: Es gibt Auskunft über seine Entstehungszeit, die Lebensgeschichte seiner Besitzer, wo es war, wie es genutzt wurde und welche soziale oder kulturelle Bedeutung es hatte. Bei der Konzeption der Ausstellung wurde überlegt, welche Aspekte geeignet sind, die historischen Wechselwirkungen der deutsch-jüdischen Koexistenz und deren langwierigen Prozess zu beleuchten. Denn obwohl Juden seit über tausend Jahren untrennbarer Bestandteil der deutschsprachigen Regionen waren, ist ihr Platz innerhalb der Gesellschaft stets neu verhandelt worden: Sie waren Zeugen wichtiger historischer Ereignisse und erbrachten außerordentliche intellektuelle und kulturelle Leistungen. Zugleich mussten sie miterleben, wie Fanatismus und Intoleranz mühsam errungene gesellschaftliche Stellungen gefährdeten und wachsende Diskriminierung in Gewalt und unvorstellbare Zerstörung umschlug.
Um den sich verändernden und vielschichtigen Charakter des deutsch-jüdischen Lebens zu verdeutlichen, wurden Themenbereiche gewählt, die eine hervorgehobene Rolle in dieser Entwicklung spielten und in denen deutsche Juden in besonderem Maße eingebunden waren: Handel und Geschäftsbeziehungen, kultureller Austausch und Wohltätigkeit sowie Fragen der Emanzipation und Akkulturation.
Zu sehen sind daher der Schutzbrief des Callmann Lazarus von 1777, das erste Protokollbuch der 1792 in Berlin gegründeten „Gesellschaft der Freunde“, ein Porträt von Bertha Pappenheim und die Schokoladentassen der Geschwister Maja und Albert Einstein.
Zu den Objekten
Schokoladentassen aus dem Nachlass von Albert Einstein. Ein Foto des Geschwisterpaars diente als Vorlage für die Trinkgefäße.
Gewalttätige Pogrome im Mittelalter und der frühen Neuzeit hatten bleibende Spuren hinterlassen. Juden waren ihrer Rechte sowie oftmals auch ihres Lebens beraubt und aus den Städten vertrieben worden. Ein Schutzbrief, wie der von 1777, bot seinem Besitzer zumindest eine gewisse Sicherheit. Während die erzwungene Mobilität vieler Juden soziale Interaktionen mit Christen auf ein Minimum beschränkte, stellten Geschäftsbeziehungen, der tägliche Tauschhandel und die Ansiedlung der kleinen, privilegierten Gruppe von Schutzbrief-Inhabern eine der wenigen Austauschmöglichkeiten zwischen beiden Bevölkerungsgruppen dar.
Eine ganz andere Form des Austausches ermöglichte die 1792 in Berlin gegründete „Gesellschaft der Freunde“. Anfänglich durften nur ledige Männer dem Wohltätigkeitsverein beitreten, die zugleich Anhänger der Haskala, der jüdischen Aufklärung, waren. Als zumeist junge und nicht immer wohlhabende Männer mit revolutionären oder kontroversen Ideen hatten sie in den jüdischen Gemeinden kaum Rückhalt, erst die „Gesellschaft der Freunde“ verlieh ihren Anliegen eine Stimme. Die strenge Regelung bezüglich verheirateter Mitglieder wurde mit der Zeit abgelegt und auch die Religion war offiziell Privatangelegenheit der Mitglieder, wodurch Christen beitreten konnten. Mit den Jahren änderte sich der Charakter der Gesellschaft von einem innerjüdischen Wohltätigkeitsverein hin zu einem Zentrum der bürgerlichen Elite, bestehend aus Finanziers, Philanthropen, Unternehmern und Intellektuellen, deren Einfluss weit über die Berliner Sphäre hinausreichte.
Weitreichend war auch Bertha Pappenheims Bedeutung. Seit 1888 war sie in Frankfurt am Main im Bereich der Wohlfahrtspflege der jüdischen Gemeinde aktiv. Sie begann sich für die Rechte von Jüdinnen einzusetzen und gründete 1904 den Jüdischen Frauenbund. Als dessen Vorsitzende sprach sie sich energisch gegen den internationalen Mädchenhandel aus, dem oftmals junge Jüdinnen in Osteuropa zum Opfer fielen. Bertha Pappenheim initiierte Kindergärten, Erziehungsheime und Bildungsstätten. Vor allem die Bildung und Ausbildung von Mädchen, die sie zugleich in ihrem religiösen und kulturellen Judentum stärkte, lag ihr am Herzen.
Ähnlich verhielt es sich wohl mit den Schokoladentassen der Geschwister Einstein. Albert Einstein hätte für seine Ausreise wohl die verschiedensten Dinge aus seinem Hausstand auswählen können. Dennoch entschied er sich, ausgerechnet die fragilen Tassen aus längst vergangenen Kindertagen ins Exil mitzunehmen. Oftmals hat es den Anschein, als wäre in der umfangreichen Literatur bereits alles über den Nobelpreisträger gesagt worden, und trotzdem sind diese zwei kleinen, überaus zierlichen Tassen eine Besonderheit. Sie verquicken familiäre Intimität mit der Geschichte des gesellschaftlichen Aufstiegs des deutschen Judentums und bieten einen ungewöhnlichen Blickwinkel auf den großen Denker.
Gerade die Unterschiedlichkeit und scheinbare Alltäglichkeit der ausgewählten Exponate ist ihre große Stärke. Fragmentarisch spiegeln sie das Leben ihrer Besitzer wider, die sich oftmals entwurzelt in verschiedenen Ländern und unter wechselnden soziopolitischen Bedingungen zurechtfinden mussten. Sie bieten dem Betrachter keine vollständige Erzählung, sondern werfen Schlaglichter auf die deutsch-jüdische Geschichte und laden dazu ein, eigene Entdeckungen zu machen.
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